Gastbeitrag: Ab ins Ausland – doch wie gelangen wir dorthin?

Internationale Expansion will gut überlegt sein: Einfach den Onlineshop übersetzen und den nationalen Vertrieb ausweiten, genügt bei weitem nicht. Der Eintritt in einen ausländischen Markt kommt auch im E-Commerce einer Neugründung gleich, und wer diesen Schritt wagt, sollte mit Strategie und Fachkenntnis vorgehen.

Für Unternehmen klingt es zunächst denkbar einfach, ihre in Deutschland erfolgreich verlaufenden Geschäftsaktivitäten auf die europäischen Nachbarländer und sogar das fernere Ausland auszuweiten. Stetig wachsende Informationstechnologien, die Verbreitungsmöglichkeiten des Internets und eine zunehmende technische Mobilität wirken trügerisch ermutigend, „Everywhere-Commerce“ scheint tatsächlich überall zu sein. Doch es sind nicht nur die rechtlichen und technischen Besonderheiten anderer Staaten, sondern auch Zollbestimmungen, Produktvorlieben, Sprachbarrieren und nicht zuletzt die fremde Kultur im Zielland, die einen Einstieg in den internationalen (E-Commerce-)Markt erschweren und vorab gründlich betrachtet werden müssen.

Es stimmt zwar: Ganz gleich, ob Mittelstand oder Großkonzern, das 21. Jahrhundert gehört den Global Playern. Zur globalen Ausrichtung führen jedoch viele Wege, und welcher führt zum eigenen Erfolg, ohne ein zu großes unternehmerisches Risiko darzustellen? Eine gute Vorbereitung, die passenden (Produkt-)Voraussetzungen und eine ganz individuelle Strategie, die alle Feinheiten der organisatorischen, technischen und softwaregestützten Umsetzung beleuchtet, sind das A und O.

diva-e beispielsweise, die im März dieses Jahres selbst eine Niederlassung in Ohio/USA gründete, begleitete einen großen deutschen Lebensmitteleinzelhändler bei dessen Eintritt in den US-amerikanischen Markt und unterstützte das Unternehmen vor Ort bei der Planung und Umsetzung verschiedener IT-Projekte. Unter anderem entwickelt und betreut diva-e für den Kunden die USA Mobile Shopping App, die dann auch in anderen Ländern, unter anderem in Australien, eingesetzt werden soll.

Expansion als Wachstumsstrategie: Wo setzen wir an?

Besonders unkompliziert erscheint eine internationale Expansion in der Tat im Bereich E-Commerce. Doch auch hier gibt es zahlreiche Trends, die den Weltmarkt derzeit gestalten und alle dahingehenden Überlegungen beeinflussen sollten:

Transformation und Adaptation

Das Handels- und Marketingverständnis von Unternehmen muss sich zur digitalen Welt hin verändern und anpassen. Kunden sind der Dreh- und Angelpunkt des Handels – und je häufiger sie sich auf Online-Kanälen bewegen, desto präsenter müssen Unternehmen sie bereits dort erwarten. So muss ein Unternehmen also maximal flexibel sein, aber gleichzeitig abwägen, auf welche Trends es setzen will. Wer sich darauf versteht, Kundenwünsche aus Social Monitoring oder aus schnellem digitalen Kundenfeedback richtig zu extrahieren, wird am Markt erfolgreich sein und schnell Marktanteile gewinnen. Gleichzeitig erfordert diese neue Art der Flexibilität auch eine entsprechende Anpassungsfähigkeit der Logistikkette, des Fulfillments und der Bezahlmethoden bis hin zur Transformation von B2B zu B2C oder dem grenzüberschreitenden Handel.

Personalisierter Handel

Viele Firmen haben bereits Mobile Commerce, Click&Collect, Same Day Delivery und andere Angebote, die aus der Digitalisierung heraus entstanden sind, aktiv implementiert. Ein echter Trend zeigt sich daher nicht bei der Bestellmethode oder der Logistik, sondern in den Prozessen, die dahinterstecken. Zum Beispiel Datensicherheit: Konsumenten sind verunsichert, was mit ihren Daten passiert. Wird eine Website auf den Kunden personalisiert, ist das beispielsweise ein guter Service und zweifellos ein starkes Vertriebstool. Doch es muss transparent angekündigt sowie vom Kunden bewilligt werden und vor allem funktional und hilfreich für beide Seiten sein. Der Grat zwischen Vertriebsziel auf der einen und Vertrauen des Kunden auf der anderen Seite ist hier oftmals schmal. Ebenso wie Endkunden erwarten auch B2B-Kunden eine personalisierte Ansprache, Produktempfehlungen und Kundenservice. Mehr als die Hälfte aller B2B-Käufer nutzen den gleichen Marktplatz für ihre geschäftlichen Einkäufe, den sie auch privat bevorzugen. Hier gilt es auch die internationalen Möglichkeiten auszuloten: Deutschland ist vergleichsweise strikt mit dem Datenschutz, andere Länder haben mehr Freiheitsgrade.

Handel ohne klassischen Händler

Im Onlinehandel lässt sich als Trend erkennen, dass Kunden nach und nach von Händlerseiten zu den Webseiten der Hersteller abwandern. Also müssen echte und neue Mehrwerte für den Kunden geschaffen werden. Händler können beispielsweise die Customer Experience überdenken, mehr Angebote platzieren, ein Bonussystem für Wiederkäufer entwickeln und die Vielfalt des Angebots erhöhen. Hersteller wiederum können im Web ihre Position ausspielen und besondere Serviceleistungen, eine direkte Herstellerberatung und Treueangebote anbieten. Sowohl die Vergrößerung der Sortimente auf Händlerseite als auch die Entwicklung von Mega-Plattformen zeigen deutlich die steigende One-Stop-Mentalität. Ziel ist es zunehmend, dem Kunden eine Plattform zu bieten, die mehr als nur ein Onlineshop ist. Hier werden alle für Konsum und Handel relevanten Produkte in einem zentralen Marktplatz angeboten, wodurch der Check-out-Prozess schnell, bequem und übersichtlich ist. Das sind Gründe, warum vor allem Amazon einen solchen Zuspruch erlebt.

Die ersten Schritte: Planung und Strategie

Für eine erfolgreiche Internationalisierung – sowohl im klassischen Vor-Ort-Geschäft als auch im E-Commerce – ist vor allen Dingen wichtig, dass man als Unternehmen die Planungsphase nicht unterschätzt, Experten konsultiert, alle involvierten Parteien und Mitarbeiter mit einbezieht und Führungspersönlichkeiten für die Leitung der Internationalisierung festlegt. Eine gut geplante Strategie, festgelegte Ein- und Ausstiegs-Kriterien und ein zeitlicher Horizont von mindestens drei bis fünf Jahren sind immens wichtig. Und hier tauchen auch die ersten Fragen auf, die sich Unternehmer bei der Entwicklung ihrer eigenen Markteintritts- und Marktbearbeitungsstrategie stellen sollten:

  • Wie sollen die eigenen Produkte im Zielland vertrieben werden? In manchen Regionen ist es sinnvoll, mit einem lokalen Partner zu arbeiten. In anderen eignet sich die reine Exportstrategie, und in einigen Ländern verspricht die Gründung einer eigenen lokalen Gesellschaft den meisten Erfolg.
  • Wie weit ist der Markt bereits entwickelt?
  • Wie ist das Machtverhältnis zwischen Lieferanten, Produzenten und Kunden, das heißt wer bestimmt die Preise?
  • Wie stark ist die Bedrohung durch Wettbewerb und Substitutionsprodukte?
  • Was bedeuten all diese Erkenntnisse für meinen E-Commerce-Ansatz?

Von der gewählten Vertriebsform der geplanten Expansion hängt auch die nötige Investitionssumme ab – ein nicht unerheblicher Aspekt.

Im oben genannten Beispiel des Lebensmitteleinzelhändlers war natürlich Corona ein Beschleuniger für die Intensivierung der Online-Investitionen. Speziell in den USA bietet sich ein großer digital affiner Markt. Gleichzeitig ist eine Ausbreitung über das gesamte Land wesentlich schneller und kostengünstiger zu erreichen als die Eröffnung weiterer tausender Filialen. Gehen beide Kanäle Hand in Hand eine Symbiose ein, können sie sich gegenseitig stärken. Ein weiterer Anlass: Aufkommende Online PurePlays im E-Food machen eine Gegenstrategie unerlässlich, um Marktanteile zu gewinnen und zu verteidigen. Die gewonnenen Daten lassen eine wesentlich bessere Auswertung und Sortimentssteuerung zu.

In unserem Fall musste zwar die Logistik stark erweitert werden, beispielsweise um Curb Side Picking, Click & Collect und den Versand, aber dies wurde durch die bestehende Filiallogistik umgesetzt. Dadurch war ein wesentlicher Komplexitätstreiber abgemildert. In Summe also „Best of all worlds”: Nutzung der Synergien und gleichzeitig eine hohe Innovationskraft für die zukünftige Verteidigung der eigenen Position im Markt. Grundsätzlich müssen neben der Beschaffenheit des Zielmarktes und den eigenen Produktvoraussetzungen auch die OnPage-Optimierungen wie Design, Bezahlmethoden und inhaltliche Aspekte der Expansion bedacht werden.

Weiterdenken: Technische Umsetzung

Ein großer Aspekt – der größte im E-Commerce – ist die technische Umsetzung der Storefront für den Kunden. Modernes Webdesign setzt auf emotionale Ansprache durch hochauflösende Produktabbildungen und den Einsatz von Bewegtbildern. Zugleich erfordert der rasante Zuwachs bei der Nutzung mobiler Endgeräte ein responsives Design, das auf die deutlich kleineren Bildschirme und Bedienflächen reagieren kann. Auch über den Betrieb und das Hosting der Lösung muss genau nachgedacht werden.

  • Welche Märkte wollen wir erreichen?
  • Was sind die primären Endgeräte heute – und in zwei Jahren?
  • Lässt sich die Technologie möglicherweise in der Cloud betreiben – in welcher?
  • Welche Latenzzeiten muss man bedenken? Wie verhalten sich große Produktkataloge und Suchantwortzeiten.
  • Gibt es möglicherweise zusätzliche technische Beschränkungen in den Regionen, beispielsweise Firewalls in China?
  • Ist der Einsatz eines Content Delivery Netzwerks (CDN) möglich und wird es von der gewählten Technologie unterstützt?
  • Sind wichtige Funktionen als Standardmodule verfügbar (wie Steuerberechnung, Payment, Suche, Logistik)
  • Werden Marktplatz-Modelle unterstützt?
  • Wird Personalisierung hochautomatisiert, gegebenenfalls mit KI-Unterstützung, möglich gemacht?
  • Wird Voice Commerce unterstützt, gibt es funktionierende Anwendungen?

 

Von der gewählten Technologie hängt auch ab, ob auf der bestehenden Infrastruktur einfach ein weiterer Shop ausgerollt werden kann oder ob dafür zusätzliche Instanzen aufgesetzt werden müssen. Das erhöht die Komplexität und auch die Kosten. Der Lebensmitteleinzelhändler plante für seinen US-Markteintritt mit einem hohen dreistelligen Millionenumsatz. Da fallen die Technologiekosten nicht so ins Gewicht. Personal- und 24/7-Supportkosten sind hier eher zu beachten. Gut zu wissen: Hohe Performance-Anforderungen durch Millionen oder Milliarden von Zugriffen erhöhen die Cloud-Kosten erheblich, ohne dass man dies kurzfristig beeinflussen kann. Gerade Rabattaktionen, Cyber Monday sowie Weihnachten und andere Feiertage sind hier Treiber. So ist eine Cloudlösung zwar sicherlich immer noch günstiger als im eigenen Rechenzentrum, aber ein manchmal sehr unterschätzter Kostenfaktor. Bei großen Organisationen wird auch eine dezentrale Content-Pflege notwendig, die wiederum spezielle Content Management Tools benötigt und die entsprechende Einarbeitung – across the world.

Welches Land passt zu uns?

Mithilfe einer Bewertungsmatrix kann das richtige Zielland auf Basis genauer Betrachtungen des eigenen Unternehmens und des jeweiligen Landes ermittelt werden. Niedrige Bewertungen der einzelnen Kriterien lassen auf Risiken und Herausforderungen im jeweiligen Markt schließen, eine hohe Bewertung auf Stärken und Chancen.

  1. Marktreife

Wie tief sind Onlinehandel und E-Commerce im Bewusstsein der Konsumenten und Unternehmen verankert?

Wird bereits online gekauft?

  1. Potenzial

Welches Potenzial bietet der Markt langfristig?

Verzeichnet das Land ein Wachstum oder ist der Markt gesättigt?

Wie viele potenzielle Kunden gibt es in meinem Markt?

Wie sieht die Wettbewerbssituation konkret aus?

  1. E-Commerce-Infrastruktur

Wie sieht es mit dem Zugang zum Internet aus?

Gibt es Breitbandinternet, ist Internet auch mobil nutzbar?

Wie hoch ist die Adaptationsrate?

Wie häufig nutzen Menschen das Internet?

  1. Logistik

Wie sind Logistik und Infrastruktur ausgebaut?

Welche Möglichkeiten zur Beförderung von Waren gibt es?

Wie sind die Lieferzeiten einzuschätzen?

Wie sind Straßen- und Schienennetz sowie Luftverkehr ausgebaut?

  1. Investitionsbedarf

Welche Ausgaben fallen im Rahmen des Rollouts in diesem Land an?

Dazu gehören: Kosten für Übersetzung, Designanpassung und Produktbilder sowie für nötige Registrierungen und Lizenzen, Personal für Kundenservice, Kosten für die Gründung einer Gesellschaft usw.

  1. Legale Aspekte

Wie sieht die Gesetzeslage vor Ort aus?

Gibt es spezielle Regelungen, die den Handel betreffen?

Gibt es spezielle Regelungen für den Onlinehandel?

Wie sehr unterscheidet sich das dortige nationale Recht von der Gesetzgebung in der Bundesrepublik?

  1. Risiken

Welche Risiken sind mit einem Markteintritt im Zielland zu kalkulieren?

Dazu zählen finanzielle Risiken wie Wechselkursschwankungen, Beschaffungsrisiken, Intellectual Property, Personal, Sicherheitsrisiken und rechtliche Risiken, aber auch soziokulturelle Risiken.

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Zusammenfassung

Wer im Ausland erfolgreich agieren will, muss im Vorfeld auf genaue Analysen, gründliche Planung und erfahrene Partner setzen.

Das in Deutschland erfolgreiche „Tagesgeschäft“ in anderen Ländern 1:1 weiterzuführen, gelingt in der Regel nicht. Zu unterschiedlich sind technische Voraussetzungen und landestypische Erwartungen.

Wer moderat in die neuen Zielmärkte hineinwächst, wirtschaftliche Kennzahlen sorgfältig beobachtet und dabei auch die dynamischen Entwicklungen im digitalen Business nicht außer Acht lässt, baut ein stabiles Fundament für seine Auslandsaktivitäten auf, auf das er langfristig setzen kann.

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Zu den Autoren:

Sirko Schneppe

Sirko Schneppe verantwortet als CCO die Bereiche Vertrieb, Marketing und strategische Entwicklung der diva-e und war mit seiner Digitalexpertise Ideengeber und Mitgründer der Agenturgruppe im Jahr 2015. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker beschäftigte sich schon während seines Studiums in den 90ern mit dem aufkommenden Internet. 2003 war Schneppe Mitgründer des E-Commerce-Dienstleisters Ageto und verfügt über internationale Erfahrungen beim Aufbau unterschiedlicher Online-Geschäftsmodelle. – Kontakt: sirko.schneppe@diva-e.com

Tilman Au

Tilman Au lenkt als CEO die Geschicke von diva-e und initiierte 2015 die Entstehung der Agenturgruppe auf Basis einer Buy-and-Build-Plattform. Die Gründung einer Agentur für Internetdienstleistungen und Online-Portale im Jahr 1998 machte Tilman Au zu einem der größten Multimedia-Dienstleister im Rhein-Main-Gebiet. Er ist an zahlreichen Start-ups im Bereich Digital Media & Marketing beteiligt und berät Großunternehmen und Private-Equity-Fonds bei digitalen Projekten. – Kontakt: tilman.au@diva-e.com

Fotos: diva-e

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Über diva-e:

Mit mehr als 80 Millionen Euro Jahresumsatz (2021) und Platz 2 im bundesweiten Ranking „Plattformen, E-Commerce und Services“ des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) gehört diva-e zu den führenden Digitalagenturen Deutschlands. Als „Transactional Experience Partner (TXP)“ schafft diva-e digitale Erlebnisse, die Unternehmen nachhaltig voranbringen. Mit mehr als 20 Jahren Erfahrung im digitalen Business deckt diva-e die digitale Wertschöpfungskette von Strategie über Technologie bis Kreation vollständig ab. diva-e arbeitet mit weltweit führenden Technologiepartnern wie Adobe, SAP Hybris, Spryker, e-Spirit, Microsoft und Bloomreach zusammen. Zu den Kunden zählen namhafte Unternehmen wie EDEKA, E.ON, FC Bayern München und Carl Zeiss. diva-e beschäftigt rund 900 Mitarbeitende an insgesamt zehn Standorten in Deutschland, Bulgarien (Sofia) und den USA (Cincinnati).

Weitere Informationen unter www.diva-e.com

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