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Immer mehr deutsche Tech-Start-ups werden von ausländischen Unternehmen aufgekauft

  • Die Zahl der M&A-Deals im deutschen Tech-Start-up-Ökosystem steigt gegenüber 2021 von 171 auf 203. Zwei Drittel aller verkauften Start-ups werden von ausländischen Investoren gekauft
  • Öffentlich bekannte Sparmaßnahmen bei jedem fünften der 100 höchstfinanzierten Start-ups
  • Zahl der „Einhörner“ in Deutschland steigt trotz disruptivem Marktumfeld von 24 Ende 2021 auf 25

Internationale Unternehmen übernehmen immer häufiger deutsche Tech-Start-ups – und das gegen den aktuellen Trend abnehmender M&A-Aktivitäten in nahezu allen Branchen und Sektoren. Die Zahl der Übernahmen deutscher Jungunternehmen stieg von 171 im Jahr 2021 auf 203 im vergangenen Jahr – dies markiert den höchsten Wert seit Erhebungsbeginn.

Zwei von drei Deals (67 Prozent) gingen dabei von ausländischen Investoren aus. Erstmals spielten Käufer aus dem europäischen Ausland mit 78 Transaktionen eine größere Rolle als US-Unternehmen, die insgesamt 53 deutsche Jungunternehmen kauften oder sich an ihnen beteiligten. Der Anteil nordamerikanischer Konzerne am internationalen Transaktionsgeschehen sank damit im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozentpunkte, von 53 auf 38 Prozent. Gleichzeitig stieg der Anteil von Übernahmen durch europäische Unternehmen von 44 auf 57 Prozent – plus 13 Prozentpunkte. Die übrigen sieben internationalen M&A-Transaktionen entfielen 2022 auf Unternehmen aus Asien, der Anteil stieg von drei auf fünf Prozent.

65 Deals mit Beteiligung deutscher Jungunternehmen gingen von Deutschland aus, am häufigsten von Unternehmen aus Berlin (zwölf Übernahmen), München (11 Übernahmen) und Nordrhein-Westfalen (neun Übernahmen). Das sind Ergebnisse der aktuellen EY-Studie „Venture capital & start-ups in Germany 2022“.

Dr. Thomas Prüver, Partner bei EY: „2022 war ein herausforderndes Jahr, nicht nur für die Start-ups, sondern auch für die Wirtschaft insgesamt. Zinswende, Konjunktureintrübung, das Auslaufen von Pandemieeffekten – dies alles führte dazu, dass Bewertungen nach unten korrigiert wurden und Profitabilität stärker in den Vordergrund rückte.“ So gab es laut Prüver 2022 keinen einzigen Börsengang eines deutschen Start-ups. 2021 waren es noch vier IPOs und fünf SPACs gewesen. Prüver: „Da Börsengänge als Exit-Möglichkeit für Investoren ausfielen, rückten M&A-Transaktionen stärker in den Fokus. Hinzu kam: Einige Jungunternehmen, die Probleme hatten frisches Kapital zu erhalten, wurden zu Übernahmekandidaten.“ Die Anzahl der Übernahmen stieg deshalb im Vergleich zum Rekordjahr 2021 noch einmal deutlich. Besonders groß war das Interesse von Investoren aus dem Ausland. „Ein deutliches Zeichen, wie wettbewerbsfähig hiesige Start-ups und ihre Ideen und Geschäftsmodelle im internationalen Vergleich sind. Gleichzeitig aber auch ein Alarmzeichen an die Politik, da damit viel Innovationspotenzial aus Deutschland abfließt“, so Prüver.

Besonders groß war der Übernahmehunger bei Unternehmen, die digitale Lösungen erarbeiten und anbieten: Von den mehr als 200 M&A-Transaktionen fanden 66 (33 Prozent) im Bereich Software & Analytics statt. 30 (15 Prozent) wurden im Bereich E-Commerce vollzogen. Die Anzahl von M&A-Aktivitäten durch Finanzinvestoren stieg im Vergleich zum Jahr 2021 deutlich, von 14 auf 25. Der Großteil der Übernahmen und Beteiligungen ging aber weiterhin von sogenannten Corporates, also anderen Unternehmen, aus: 157 waren es im Jahr 2021, 178 im vergangenen Jahr.

Fast jedes fünfte Start-up der Top-100 setzt Sparmaßnahmen um

Prüver: „Von der Dynamik junger Unternehmen, ihren innovativen Geschäftsideen und alternativen Arbeitsweisen und Abläufen zu profitieren – das sind sicherlich die Hauptgründe für etablierte Unternehmen, wenn sie Start-ups kaufen. Umgekehrt profitieren natürlich auch die Jungunternehmen von der Zusammenarbeit mit etablierten Unternehmen, deren Marktwissen und Finanzkraft.“ Das Interesse der Finanzinvestoren sei dagegen anders gelagert: „Finanzinvestoren haben im Jahr 2022 mehr und in der Regel bereits profitable Unternehmen gekauft, da niedrigere Bewertungen zahlreiche Jungunternehmen zu attraktiven Übernahmekandidaten machten. Die Gesamtgemengelage erhöhte die Chancen für Finanzinvestoren langfristig Wertsteigerungen zu generieren.“

Der neue Fokus auf Profitabilität zeigt sich auch darin, dass relativ viele Start-ups im vergangenen Jahr bei den Personalkosten sparten. Knapp ein Fünftel (18 Prozent) der Top-100-Start-ups gab an, die Zahl der Mitarbeitenden zu reduzieren. So entließ jedes dritte E-Commerce-Start-up Personal, bei den FinTechs war es jedes fünfte. Damit reagieren deutsche Start-ups ähnlich wie die großen Tech-Konzerne in den USA, wo es aktuell zu großen Personalabbaumaßnahmen kommt.

Start-ups mit Milliardenbewertung: Mehr „Einhörner“ in Deutschland

Die Zahl der deutschen Jungunternehmen mit Milliardenbewertung hat auch im vergangenen Jahr zugenommen: Zwar schieden der Lebensmittellieferdienst Gorillas, der von Mitbewerber Getir übernommen wurde, sowie das Reiseunternehmen GetYourGuide, welches mehr als 10 Jahre alt und deshalb nicht mehr Teil der Start-up-Definition ist, aus. Dafür stießen Choco (Lieferketten, Berlin), Grover (Mietelektronik, Berlin) und Volvocopter (Luftfahrt, Bruchsaal/Baden-Württemberg) zur Gruppe der „Einhörner“, so dass es in Deutschland nun 25 Start-ups mit Milliardenbewertung gibt.

Mehr Einhörner und hohe Finanzierungssummen – wenn auch nicht mehr auf dem Rekordniveau von 2021 – wie geht es für die Start-up-Branche weiter? Prüver: „In zahlreichen Bereichen gibt es für Jungunternehmen noch immer gute Möglichkeiten, trotz der eingetrübten Rahmenbedingungen zu wachsen und innovative Geschäftsmodelle umzusetzen. So gewinnt beispielsweise aktuell das Themenfeld Künstliche Intelligenz innerhalb der Software & Analytics Start-ups enorm an Bedeutung – sowohl was das Interesse von Investoren als auch die Umsetzbarkeit angeht.“

Hier können Sie die Studie kostenlos bestellen.

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