Investitionen in deutsche Startups auf hohem Niveau – trotz starker Marktunsicherheiten
- Nach Rekordjahr 2021: Sowohl Wert (minus 20 Prozent) als auch Anzahl der Finanzierungsrunden (minus sieben Prozent) gehen in Deutschland zurück
- Die ersten sechs Monate des Jahres 2022 markieren trotzdem das zweitbeste erste Halbjahr für die deutsche Startup-Branche aller Zeiten
- Berlin bleibt Deutschlands Startup-Hauptstadt
- Zahl der Top-Deals über 100 Millionen Euro genauso hoch wie im Vorjahreszeitraum, Investitionsvolumen aber niedriger
Der Gesamtwert der Investitionen von Risikokapital in deutsche Jungunternehmen sank in den ersten sechs Monaten dieses Jahres gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 20 Prozent. Lag die investierte Summe zwischen Januar und Juni 2021 noch bei 7,6 Milliarden Euro, sind es im ersten Halbjahr 2022 nur noch knapp über sechs Milliarden. Dies markiert allerdings immer noch den zweithöchsten Wert eines ersten Halbjahres aller Zeiten – nur im ersten Halbjahr des Jahres 2021 floss mehr Risikokapital an deutsche Startups.
Bei der Anzahl der Finanzierungsrunden sieht es ähnlich aus: minus sieben Prozent standen in den ersten sechs Monaten zu Buche. Doch auch die Anzahl der Finanzierungsrunden liegt weiter deutlich über den Werten der Jahre vor 2021.
Das zeigt das Startup-Barometer der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY (Ernst & Young). Die Studie basiert auf einer Analyse der Investitionen in deutsche Startups. Als Startups werden dabei grundsätzlich Unternehmen gewertet, die nicht älter als zehn Jahre sind.
Dr. Thomas Prüver, Partner bei EY: „Mehr als 6 Milliarden Euro Risikokapital im ersten Halbjahr 2022 sind das zweitbeste erste Halbjahr aller Zeiten. Das Investitionsniveau bleibt im Vergleich zu den vergangenen Jahren weiter hoch – von dem vielfach befürchteten Einbruch ist zumindest noch nichts zu sehen. Es ist immer noch viel Liquidität im Markt – Investoren schauen aber genauer, wo sie investieren. Geopolitische Unsicherheiten, die Zinswende und unklare wirtschaftliche Aussichten sorgen für starke Unsicherheit im Markt, die in den Zahlen des ersten Halbjahres möglicherweise noch nicht vollständig reflektiert ist.“
Berlin bleibt Startup-Hauptstadt
Auch im ersten Halbjahr 2022 war Berlin wieder der Hotspot der deutschen Startup-Szene: In der Hauptstadt gab es 219 Finanzierungsrunden – mehr als in Bayern (118), Nordrhein-Westfalen (59) und Hamburg (38) zusammen. Allerdings ging die Anzahl der Runden in Berlin stark zurück – im ersten Halbjahr 2021 waren es mit 264 fast 50 mehr. In den meisten anderen Bundesländern blieben die Zahlen dagegen stabil, beziehungsweise legten sogar leicht zu.
Das meiste Kapital für deutsche Jungunternehmen fließt auch in Summe weiter nach Berlin: Mehr als jeder zweite in Startups investierte Euro landet in der Hauptstadt – 3,25 Milliarden Euro sind es im ersten Halbjahr 2022, 868 Millionen weniger als im Vergleichszeitraum 2021. Bayern belegt mit 1,16 Milliarden Euro den zweiten Rang, allerdings hat sich das Investitionsvolumen hier im Vergleich zum Vorjahres-Halbjahr halbiert. Deutlich zulegen konnten hingegen Hamburg (414 Millionen Euro gegenüber 110 Millionen Euro im Vorjahr, plus 275 Prozent), Hessen (303 Millionen Euro gegenüber 128 Millionen im Vorjahr, plus 240 Prozent) und Sachsen (280 Millionen Euro gegenüber 134 Millionen Euro im Vorjahr, plus 110 Prozent).
Prüver: „Das Startup-Herz Deutschlands schlägt weiter in der Hauptstadt. Moderne, internationale Metropolen wie Berlin ziehen Menschen an, hervorragend ausgebildete Talente aus dem In- und Ausland wollen hier hin. Das ist gerade in Bezug auf den anhaltenden Fachkräftemangel ein Wettbewerbsvorteil – und auch ein Argument der Jungunternehmen gegenüber Investoren.“ Prüver ergänzt: „Die sehr guten Zahlen etwa aus Hessen und Sachsen zeigen aber auch, dass ein Startup mit der richtigen Idee und einem vielversprechenden Plan in jedem Teil Deutschlands Erfolg haben kann.“
Hard- und Software sowie Energie besonders gefragt – Fin- und InsurTechs verlieren
Vier Branchen erhielten im ersten Halbjahr 2022 Finanzierungssummen jenseits der 700 Millionen-Euro-Schwelle: Das meiste Risikokapital floss in den Bereich Software & Analytics. Die Branche brachte es auf ein Gesamtvolumen von mehr als 1,8 Milliarden Euro und konnte den Wert des Vorjahreszeitraums damit knapp stabil halten.
Finanzierungsboom dagegen im Bereich Energy: Mehr als 900 Millionen Euro an Investitionen flossen in die Branche – gut 870 Millionen Euro mehr als im ersten Halbjahr 2021. Dahinter folgt der Bereich Mobility mit einem Finanzierungsvolumen von 844 Millionen Euro – in den ersten sechs Monaten des Jahres 2021 war es mit 1,41 Milliarden Euro allerdings noch fast doppelt so hoch. Noch deutlicher war der Rückgang bei Fin- und InsurTechs: Hier sank das Finanzierungsvolumen von mehr als zwei Milliarden Euro in der Vorjahresperiode auf rund 760 Millionen im diesjährigen ersten Halbjahr.
Im ersten Halbjahr 2022 gab es 15 Top-Deals mit einem Volumen von mehr als 100 Millionen Euro, im Vorjahreszeitraum waren es genauso viele. Die größten Finanzierungsummen erhielten das Logistik-Startup Forto (229 Millionen Euro), und der Online-Broker TradeRepublic (227 Millionen Euro) – beide Jungunternehmen sitzen in Berlin. Die Schallmauer von 200 Millionen Euro knackten außerdem Taxfix (Berlin), 1Komma5° (Hamburg) und Hy2gen (Hessen).
Nachhaltigkeit spielt generell eine immer größere Rolle bei den Investitionen in deutsche Startups: Waren es im ersten Halbjahr 2021 909 Millionen Euro, die in diesen Bereich investiert wurden (zwölf Prozent der Gesamtsumme), waren es in der ersten Jahreshälfte 2022 mit 1,1 Milliarden Euro (18 Prozent) noch einmal deutlich mehr – und das bei einer niedrigeren Gesamtsumme als im Vergleichszeitraum.
Prüver: „Geldanlagen in nachhaltigen Geschäftsmodellen liegen im Trend, die Zahl der Investitionen in diesem Bereich wird in Zukunft weiter steigen und noch wichtiger werden. Auch in Anbetracht der aktuellen geopolitischen Situation mit unsicheren Versorgungslagen, beispielsweise im Energiebereich, zeigen erfolgreiche Startups, dass ihre Produkte und Dienste schon jetzt helfen können.“
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