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Gastbeitrag: China, Brasilien, USA oder „nur“ Europa?

Internationale Expansion will gut überlegt sein: Neben der Wahl der optimalen Vertriebsstrategie spielen auch zahlreiche Gegebenheiten in den Zielländern eine große Rolle. Wer den Eintritt in einen ausländischen Markt wagt, muss auch im E-Commerce mit landesspezifischer Fachkenntnis und individueller Strategie vorgehen – und zuallererst die passenden Zielländer wohlüberlegt auswählen.

Digitalisierung, Globalisierung und allerhand technische Finessen machen es möglich: Mit einem englischsprachigen Onlineshop und weltweitem Versandangebot wagen wir den Schritt ins internationale Geschäftsleben. Es kann ja nicht so schwer sein. Oder doch?

Für Unternehmen klingt es zunächst denkbar einfach, ihre in Deutschland erfolgreich verlaufenden Geschäftsaktivitäten auf die europäischen Nachbarländer und sogar das fernere Ausland auszuweiten. Doch gerade diese scheinbare Unkompliziertheit ist es, die Unternehmen dazu verleitet, zu schnell zu viel zu wollen. Die fremde Kultur im Zielland, Spachbarrieren und andere Produktvorlieben sind es, die einen Einstieg in den internationalen (E-Commerce-)Markt erschweren und vorab gründlich betrachtet werden müssen. Dabei ist es egal, ob es sich um B2C oder B2B handelt: Es „menschelt“ überall.

Wo geht die Reise hin: Voraussetzungen

Besonders unkompliziert erscheint eine internationale Expansion in der Tat im Bereich E-Commerce. Der Onlineshop ist bereits vorhanden, oftmals sogar in englischer Sprache. Was hierbei schnell übersehen wird: Englisch ist – wenn auch Weltsprache und in den meisten Ländern verstanden – nicht überall auf der Welt die Lieblingssprache im Onlineshopping. Bereits im Nachbarland Frankreich bevorzugen die Kunden ein französischsprachiges Angebot, und auch im vermeintlich global orientierten Japan ist Englisch im Alltag der Bevölkerung nicht so weit verbreitet, wie es scheint. Webseite und Kundenservice in Landessprache sind also Pflicht.

Diese Erfahrung machte auch diva-e, die im März dieses Jahres selbst eine Niederlassung in Ohio/USA gründete, als sie einen großen deutschen Lebensmitteleinzelhändler bei dessen Eintritt in den US-amerikanischen Markt begleitete. Unter anderem entwickelt und betreut diva-e für den Kunden die USA Mobile Shopping App, die dann auch in anderen Ländern, unter anderem in Australien, eingesetzt werden soll. Zwar war hier die Sprachbarriere vergleichsweise gering, dafür gab es andere große Herausforderungen, beispielsweise das „typisch amerikanische“ Einkaufsverhalten und die Lage der Märkte. Manche haben schlichtweg keine Parkplätze vor der Tür. Die Zusammenarbeit und eine positive Kritikkultur mit dem amerikanischen Kundenteam war hierbei unverzichtbar, denn ohne die landes- und branchenspezifischen Kenntnisse des Ziellandes könnten verschiedene Stolperfallen nur schwer umschifft werden.

Von der jeweiligen Mentalität und den Kundenerwartungen sowie von den Gegebenheiten im gewählten Zielland, hängen auch (fast) alle weiteren Entscheidungen und Strategien ab, beispielsweise in Sachen Design, Zahlungsmethoden und Rahmenbedingungen:

  1. Design und Usability

Es lockt in seiner Einfachheit, doch funktioniert in der Regel nicht: den einmal entwickelten Onlineshop in die jeweiligen Landessprachen zu übersetzen und eins zu eins in verschiedenen Regionen anzubieten. Vielmehr „tickt“ jede Kultur anders, jedes Land stellt spezifische Anforderungen, und es gilt, diese lokalen und kulturellen Besonderheiten zu berücksichtigen.

Dazu gehört auch: Farbe bekennen. In jeder Kultur haben Farben eine unterschiedliche und oft religiöse Bedeutung. Da kann es schnell passieren, dass man sich auf einer Webseite in der Tonalität vergreift. Auch das Layout variiert in den verschiedenen Kulturen: Asiaten lieben es überladen, bunt und blinkend, während die Deutschen ein schlichtes und seriöses Design bevorzugen. Franzosen sehen bei Produktabbildungen gern das Produkt in seiner konkreten Anwendung, im arabischen Raum kann dies unter Umständen anstößig sein. Auch die Leserichtung der jeweiligen Schrift hat Einfluss darauf, wie Informationen wahrgenommen werden.

Neben der Kultur spielt auch die Landessprache eine Rolle und sollte vor allem bei der Produktbezeichnung und den beschreibenden Texten, aber auch bei Inhalten auf der Website beachtet werden. Hier helfen ein computerunterstütztes Übersetzungssystem (CAT-Tools) und die zusätzliche Einbindung von Muttersprachlern.

  1. Beliebte Bezahlmethoden

Zwar gelten Kreditkarten (Visa, MasterCard), Debitkarten (Maestro), Lastschrift oder Rechnungskauf in den meisten Ländern als gängige Zahlungsarten – doch beim Onlinehandel gibt es durchaus länderspezifische Besonderheiten. Onlinebezahlsysteme wie PayPal werden weltweit immer häufiger akzeptiert, auch ApplePay und GooglePay verbreiten sich schnell. In einzelnen Ländern dürfen hingegen auch verschiedene lokale Anbieter nicht außer Acht gelassen werden: In den Niederlanden ist iDEAL ein wichtiger Player, in Russland Yandex Money, in China Alipay.

Auch die Barzahlung spielt weiterhin eine wichtige Rolle: In Japan beispielsweise kann der gesamte Zahlprozess eines Onlinekaufs offline abgewickelt werden. Mit Zahlungsdienstleistern wie Suica oder Konbini wird in einem von unzähligen 24/7-Stores bezahlt. Ähnliche Konzepte gibt es auch in Italien. In den USA hat sich der oben genannte Lebensmitteleinzelhändler für PayPal und Kreditkarte entschieden. Gleichzeitig, und das ist eine Besonderheit, werden Wohlfahrts-Schecks akzeptiert (SNAP – Supplemental Nutrition Assistance Program). Eine wichtige, sehr lokale Möglichkeit für die Hilfsbedürftigen, die einen guten Teil der Kundschaft ausmachen.

Grafik: Durchschnittliche Zeit bis zum Zahlungseingang (in Tagen)

Quelle: diva-e

Money makes the world go round: Es ist interessant, dass im weltweiten Vergleich erhebliche Unterschiede in der Zeit von der Bestellung bis zum Zahlungseingang zu beobachten sind. Ein effizientes Warnsystem und ein Debitorenmanagement helfen, das Risiko eines Zahlungsausfalls frühzeitig zu erkennen und diesem gegenzusteuern.

  1. Rechtliche Rahmenbedingungen

Häufig sind die rechtlichen Rahmenbedingungen in anderen Ländern eine der größten Barrieren für globale Geschäfte. Man hat es vor Ort mit anderen Behörden und Rechtssystemen zu tun, mit einer anderen Gesetzgebung, besonderen Vorschriften, Verordnungen und Richtlinien. Auf fremdem Terrain erhöht sich das Risiko für spätere Rechtsstreitigkeiten, Sanktionen und Strafzahlungen bei Verstößen.

Regulatorische Fragen: Die Produktdeklaration bezüglich Inhaltsstoffen, Nährwerten, Allergenhinweisen, Gefahrstoffkennzeichnung, Anwendungshinweisen usw. kann im Grad der Detaillierung von Land zu Land sehr unterschiedlich sein. Empfehlenswert ist es, von Anfang an eine umfangreiche Deklaration umzusetzen. Hinweis: Solche Daten liegen nur sehr selten elektronisch verarbeitbar vor, sodass das Online-Projekt dann schnell ins Stocken geraten kann.

Technologie: Es gilt, verschiedene Formate, Einheiten, Währungen und Steuersätze im System einzubinden. Zeitzonen, unterschiedliche Prozesskonfigurationen sowie die Anbindung verschiedener Backendsysteme und externer Services müssen berücksichtigt werden. Eine echte Lokalisierung ist hochgradig anspruchsvoll und komplex – und weit mehr als nur die Unterstützung mehrerer Sprachen und Zeichensätze. Bereits Punkt und Komma können bei Preisen sehr unterschiedliche Bedeutungen haben. Auch Suchmaschinenoptimierung, Domain-Strategie und sprechende URLs müssen genauso spezifisch an das jeweilige Zielland angepasst werden wie Formulare und Produktinformationen. Hier empfiehlt es sich, auf Standardsoftware oder -module zu setzen.

Export, Zoll und Steuern sind in der Realität sehr komplex. Denn zum einen unterscheiden sich die Anforderungen an die Prozesse in den meisten Unternehmen, zum anderen sind sie auch abhängig von den Vertragspartnern sowie vom Zielland. Der Export aus Deutschland erfordert die Einhaltung anderer Regularien als die Abwicklung über lokale Niederlassungen und Partner. Eine entsprechende Rechts- und Steuerberatung ist in jedem Fall ratsam. Das deutsche Außenhandelsgesetz ist eines der komplexesten der Welt.

Tipp! Für die aktuellen Exportbedingungen, Vorschriften und Einfuhr-/Mengenbeschränkungen bieten die Europäische Kommission und das Bundeswirtschaftsministerium umfangreiche Informationen an: http://madb.europa.de oder https://www.bmwk.de/Navigation/DE/Themen/themen.html?cl2Categories_LeadKeyword=au%c3%9fenwirtschaftsrecht

Eintauchen: Kleine Länderkunde zum E-Commerce

Nordamerika

Nach China ist die USA weltweit der größte E-Commerce-Markt, der großes Potenzial und eine starke Dynamik aufweist und weltweit als „Taktgeber“ gilt. Die Ansprüche an einen Onlineshop sind hoch: Mobile und möglichst schnelle Funktionalitäten wie One-Click-Checkout werden praktisch vorausgesetzt. Auch Großevents wie der „Black Friday“ oder „Cyber Monday“ werden von den Kunden erwartet. Aggressive Produktwerbung und Multi-Channel-Konzepte kommen hier gut an, da viele Amerikaner mindestens zwei Verkaufskanäle regelmäßig nutzen.

Kanada hat unter anderem das Freihandelsabkommen CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) mit der EU unterzeichnet. Herausforderungen, die sich in Nordamerika zeigen, sind vor allem die Rechtslage in den USA, die eine große Zugangsbarriere darstellt, und die enorme Größe der USA und Kanadas, die zu hohen logistischen Kosten führen kann. Hier bietet es sich an, auf einen nationalen Logistikdienstleister zu setzen.

Lateinamerika

Lateinamerika ist ein bedeutender Wirtschaftsraum, doch Entwicklung und Wirtschaftskraft der einzelnen Länder sind sehr unterschiedlich. Brasilien ist der E-Commerce-Vorreiter, gefolgt von Argentinien und Mexiko, die Entwicklung und Infrastrukturen sind jedoch mit europäischen oder gar nordamerikanischen Maßstäben nicht zu vergleichen. In anderen lateinamerikanischen Ländern bleibt der globale E-Commerce-Boom weiterhin aus. In Brasilien spielt der Preis eine große Rolle. Free Shipping kann hier die Kaufentscheidung beeinflussen. Brasilianer sind sehr online-affin und nutzen gern soziale Netzwerke – eine gute Möglichkeit zur Markenbildung. Die Gründung einer brasilianischen Gesellschaft bietet sich eher weniger an, stattdessen lohnt sich der Zusammenschluss mit einem lokalen Partner.

Viele Mexikaner nutzen ihr Smartphone regelmäßig für Onlinekäufe; internationale Onlineshops überwiegen hier in der Beliebtheit. Die entscheidenden Kriterien für einen Onlinekauf in Mexiko sind ein schneller und bequemer Einkaufsprozess, hohe Verfügbarkeit, flexible Zahlungs- und Lieferoptionen sowie ein guter Preis. Ein guter Kundenservice auf Spanisch ist ein Muss.

Asien

Asien lebt von seinen Gegensätzen. Auf der einen Seite gibt es dort nach Afrika die meisten Entwicklungsländer, auf der anderen Seite zählen Nationen wie Japan, Singapur, Südkorea und China zu den Führenden in verschiedenen Hochtechnologien. Die umsatzstärksten E-Commerce-Märkte sind hier China und Japan. Doch die asiatische Kultur in all ihren Ausprägungen und Varianten stellt für deutsche Unternehmen eine echte Herausforderung dar.

In Japan beispielsweise ist die Bereitschaft, mobil zu bezahlen, trotz mobiler Affinität und technologischer Entwicklung, noch recht gering. Zahlungen per Kreditkarte, Rechnung, Cash-on-delivery oder via lokaler Zahlungsanbieter wie Konbini oder Suica sind hier gängig. Online-Marktplätze wie Amazon, Yahoo Japan und Rakuten machen knapp 50 Prozent des japanischen Online-Umsatzes aus. Daher empfiehlt sich dieses Modell auch für den Eintritt in den japanischen Markt. Die größte Herausforderung in Japan: der Anspruch auf eine schnelle Lieferung. Hier sollte man über ein eigenes Logistikzentrum für Asien mit einem Lager in Japan nachdenken.

In China hingegen ist das Recht- und Vorschriftensystem besonders komplex, und alle Aktivitäten werden von den Behörden streng überwacht. Ein versierter lokaler Partner ist hier ein Muss. Chinesen lieben Luxus und Marken – physische Stores können Kundenbindung und Markenbildung unterstützen. Interessant: Chinesische Kunden schauen sich beim Onlineshopping im Schnitt achtmal so viele Bilder an wie europäische.

Europa

Da in Europa die Kulturen im globalen Vergleich recht ähnlich sind und auch rechtlich nur geringe Unterschiede bestehen, kann für die meisten Länder eine ähnliche Markteintritts- und Bearbeitungsstrategie gewählt werden. Die rasante Entwicklung beim E-Commerce in Europa führt jedoch auch zu steigenden Anforderungen auf Kundenseite. Online-Käufer, auch im B2B-Bereich, gelten als verwöhnt, preissensibel und fordernd. So werden Dinge wie Einkaufserlebnis, 24-Stunden-Lieferung, sofort erreichbarer Kundendienst und Omnichannel-Konzepte praktisch vorausgesetzt.

In Frankreich bevorzugen die Kunden – anders als in allen anderen europäischen Ländern – das sogenannte „Click-and-Collect“-System. Für Onlinehändler sind das französische Preisrecht und die gesetzlichen Vorschriften des Datenschutzes verpflichtend; strenge Restriktionen sollen darüber hinaus den Wettbewerb regeln. Die Infrastruktur für Zahlungen mit PayPal, Kreditkarte und Co. ist in Frankreich gut ausgebaut. Großbritannien ist der größte E-Commerce-Markt in Europa – mit hoher Internetnutzung, weltoffenen Käufern und mobiler Affinität. Zudem sind die Briten innovativ: Trends und Neuerungen werden sehr schnell übernommen. Mobile Commerce ist hier ein Muss, zudem mögen es die Briten exklusiv. Die Messlatte für deutsche Unternehmen liegt also hoch. Ein Onlineshop in Kombination mit einer lokalen Niederlassung ist in Großbritannien eine gute Wahl, aber auch eine reine Onlinestrategie kann funktionieren, wenn sie gut geplant ist und die Besonderheiten des Landes berücksichtigt.

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Autor

Sirko Schneppe

Sirko Schneppe verantwortet als CCO die Bereiche Vertrieb, Marketing und strategische Entwicklung der diva-e und war mit seiner Digitalexpertise Ideengeber und Mitgründer der Agenturgruppe im Jahr 2015. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker beschäftigte sich schon während seines Studiums in den 90ern mit dem aufkommenden Internet. 2003 war Schneppe Mitgründer des E-Commerce-Dienstleisters Ageto und verfügt über internationale Erfahrungen beim Aufbau unterschiedlicher Online-Geschäftsmodelle.

Kontakt: sirko.schneppe@diva-e.com

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Über diva-e:

Mit mehr als 80 Millionen Euro Jahresumsatz (2021) und Platz 2 im bundesweiten Ranking „Plattformen, E-Commerce und Services“ des Bundesverbandes Digitale Wirtschaft (BVDW) gehört diva-e zu den führenden Digitalagenturen Deutschlands. Als „Transactional Experience Partner (TXP)“ schafft diva-e digitale Erlebnisse, die Unternehmen nachhaltig voranbringen. Mit mehr als 20 Jahren Erfahrung im digitalen Business deckt diva-e die digitale Wertschöpfungskette von Strategie über Technologie bis Kreation vollständig ab. diva-e arbeitet mit weltweit führenden Technologiepartnern wie Adobe, SAP Hybris, Spryker, e-Spirit, Microsoft und Bloomreach zusammen. Zu den Kunden zählen namhafte Unternehmen wie EDEKA, E.ON, FC Bayern München und Carl Zeiss. diva-e beschäftigt rund 900 Mitarbeitende an insgesamt zehn Standorten in Deutschland, Bulgarien (Sofia) und den USA (Cincinnati).

Weitere Informationen unter www.diva-e.com

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